Ganz unten im Beitrag BR-Blog sofort nach Start abgeschossen?!? habe ich schon einmal vom Bloggen unter kritischen Bedingungen geschrieben. Da ging es um Betriebsrats- und MitarbeiterInnen-Blogs und darum, dass die Arbeitgeberseite natürlich immer ein logisches Interesse daran hat, das MitarbeiterInnen sich nicht organisieren, nicht kommunizieren, keinen Zugang zur Öffentlichkeit haben.
Hier geht es nun um ganz andere und dennoch strukturell auch vergleichbare Bedingungen. Es geht um China:
Bloggen hinter der “Großen Firewall”
Der chinesische Blogging-Pionier Isaac Mao sieht in Weblogs und Social-Media-Anwendungen ein wichtiges Mittel zur Veränderung der chinesischen Gesellschaft.
… ein Artikel auf der ORF futurezone.
Schon der Beginn bringt etwas auf den Punkt, was ich genauso erlebt habe und immer noch erlebe:
Ich habe damals mit dem Bloggen begonnen, weil ich Weblogs zum Lernen nutzen wollte. Blogs sind ein wunderbares Werkzeug, um Wissen mit anderen Leuten zu teilen und zu reflektieren. [..]
Kurz nachdem meine ersten Postings veröffentlicht waren, haben sich Kontakte zu anderen Bloggern ergeben. Es waren damals nicht sehr viele. Es hat sich schnell eine kleine Community gebildet
Bloggen ist ein Schritt zur Vernetzung mit anderen in ähnlichen Situationen. Irgendwann wohl auch ein Schritt zur Vernetzung unter mehreren und vl. gar vielen ArbeitnehmervertreterInnen.!?
(Robert, Wolfgang, Karl und andere haben damit schon begonnen.)
Zwischen übertrieben naiven Hoffnungen und realistischem Veränderungsdruck
Blogs bzw. das Bloggen und erst recht das Bloggen in einer “Community” können einiges erreichen. Freilich ist auch ein gehöriges Maß an Selbstironie angeraten. Veränderungen dauern und erzeugen ihrerseits Gegendruck. Und man erhofft sich nach ersten Erfolgen sehr leicht viel zu viel.
Blogs haben China verändert. Den Leuten wird von der Vorschule an eingetrichtert patriotisch zu sein und die Partei zu lieben. Mit Hilfe von Weblogs wurden viele Leute dazu ermuntert, sich ihre eigenen Gedanken zu machen.
Es gibt heute eine Vielzahl von Meinungen zu gesellschaftlichen Themen und nicht nur den einen Standpunkt, der in den regierungstreuen, traditionellen Medien verbreitet wird. Für viele Blogger war es am Anfang nicht leicht, die Meinungen anderer Leute zu akzeptieren, das gilt auch für mich.
Weblogs haben sicherlich dazu beigetragen, dass die Leute in China beginnen, frei zu denken. Es entstehen neue Initiativen, die politische Landschaft verändert sich. Ich bin für die Zukunft des Landes sehr optimistisch.
Aber der Gegendruck wird auch umgangen und ausgetrickst
Wenn man mal begonnen hat, sich zu wehren, dann lernt man dabei ziemlich sicher einiges. Wenn man am lernen ist, wie man sich wehren kann, dann will man nicht bei der ersten Schwierigkeit gleich wieder aufhören.
Und wenn mehrere gemeinsam lernen, wie man sich wehren kann, dann sind diese Lerneffekte bald nicht mehr umkehrbar:
Aber es gibt sehr viele Leute, die mutig und kreativ genug sind, die Zensur zu umgehen. Das Projekt Digital Nomads berät Blogger etwa dabei, wie sie Blogging-Software auf ihrem eigenen Webspace installieren und Weblogs unter ihrer eigenen Adresse veröffentlichen können. Leute, die Blogging-Software auf ihrem eigenen Webspace laufen haben, können Inhalte ohne Einschränkungen publizieren. Die Regierung kann natürlich ihre Seiten schließen und ihre Adressen sperren. Die Digital Nomads helfen den Bloggern jedoch auch dabei, ihre Inhalte auf eine andere Seite zu transferieren. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.
[..] Die Leute finden immer neue Möglichkeiten und Tools um die Zensur zu umgehen. Weblogs und andere Social-media-Anwendung spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dieses Wissen weiterzugeben.
Ich finde den Artikel ja sehr interessant. Vor allem, wenn ich ihn vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen als bloggende ArbeitnehmervertreterInnen lese.
Aber möglicherweise übertreibe ich da auch, ich weiß nicht, ob es Euch da ähnlich geht?
Besonders nachdenklich macht mich ja diese Passage, in der es um die Entwicklung der Zensur und die Folgen geht.
Zuerst heißt es …
Als das Internet 1993 in China verfügbar wurde, war die Regierung über diese neue Technologie zunächst beunruhigt und hat dann versucht sie zu kontrollieren. [..]
Die Regierung hat dabei Filter- und Überwachungssysteme in Stellung gebracht …
… klar, das erleben wir ja ähnlich auch – siehe etwa der Tchibo-Fall, TSG-Fall und einige werden noch folgen. Die Überwachung und Kontrolle der MitarbeiterInnen in Betrieben (und damit u.a. das Thema Datenschutz) wird seit Jahren bis hin zur Absurdität ausgebaut.
Nun spricht der interviewte chinesische Aktivist eine Folge der Überwachung und Kontrolle an:
Die Zensur hat sich auch in die Köpfe der Leute verlagert, die Selbstzensur üben, um staatlichen Repressionen zu entgehen. Viele Leute sind so Teil des Zensursystems geworden.
und da läuft es mir kalt den Rücken herunter.
Haben wir mit diesem Problem nicht auch schon ganz massiv zu kämpfen?